Die Regionalgruppe "fridays-for-future" Greiz bat in einem offenen Brief alle Schulen des LK Greiz um eine Stellungnahme zu den Fridays-for-future-Protesten und den jeweiligen Umgang damit.
Hier ist die Antwort unserer Schulleitung - ebenfalls in offener Briefform:
Unsere Schüler/innen haben bisher an zwei Freitagen die Proteste in Gera unterstützt, die älteren Jahrgänge sind zu einem Großteil involviert, wir rechnen mit weiteren Streiks in Zukunft. Bislang haben wir diese Fehlzeiten gesondert dokumentiert und nicht als „unentschuldigt“ gewertet – die Schüler/innen fehlen nicht ohne triftige Gründe.
Eine verbindliche Information darüber, wie wir künftig und für alle Zeit mit dem Schulstreik umgehen werden, können wir dennoch nicht geben. Die Schüler/innen haben beschlossen, gegebenenfalls unentschuldigte Fehltage auf ihrem nächsten Zeugnis in Kauf zu nehmen. Sie haben sich über mögliche Folgen informiert. Bislang sehen wir keinen Grund, Ordnungsmaßnahmen gegen die entsprechenden Schüler/innen zu ergreifen. Es handelt sich nicht um eine Problematik von Schuldistanz. Wir befinden uns laufend im pädagogischen Gespräch. Das Thema „Umwelt- und Klimaschutz“ ist bei uns im Schulleben so präsent wie noch nie und findet auch Montag bis Donnerstag an vielen Stellen Ausdruck – und zwar selbstständig von der Schülerschaft organisiert. Grundsätzlich verantworten die Schüler/innen an unserer Schule Ihre Lernprozesse selbst, entscheiden über ihr Pensum, ihre Arbeitsformen, gegebenenfalls auch über Exkursionen. Dass sie Versäumtes nacharbeiten, war von Beginn an selbstverständlich.
Als reformpädagogische Schule haben wir auf die „Fridays-for-future-Bewegung“ vielleicht eine andere Perspektive. Es wird darin nämlich auch ein Problem deutlich, das im gesellschaftlichen Umgang mit Kindern und Jugendlichen (und auch der damit verbundenen Rolle von Schule) liegt.
Die Schüler/innen zeigen mit dieser weltweiten Bewegung gerade, dass es ihnen ernst ist mit der Sorge um die reale Welt, um ihr wirkliches Leben und um ihre Zukunft. Sie klettern aus dem Brutkasten Schule heraus, um in der Welt etwas zu bewegen – und die Gesellschaft pfeift sie mit Verweis auf die Schulpflicht wieder zurück. Als wären Kinder und Jugendliche kein notwendiger Teil der Gesellschaft, als könnten wir sie im realen Leben nicht brauchen. Frauen an den Herd, Kinder in die Schule. Wo stehen wir da anthropologisch?
Ja: Die Schüler/innen schwänzen die Schule. Aber: „Die Schule schwänzt das Leben“ (Titel eines lesenswerten Buches von Andreas Müller. Hep-Verlag 2013). Vor die Entscheidung „Schule oder Leben“ haben wir als Gesellschaft die Schüler/innen gestellt, indem wir in der Schule nur „wir-tun-mal-so-als-ob-Probleme“ lösen: Klimadiagramme aus dem Atlas von 1990 auswerten, den Treibhauseffekt auf animierten Smartboards vorspielen, Nahrungsketten zeichnen lassen, Brennwerte verschiedener Stoffe berechnen. Aber die Anwendung außerhalb des Schulheftes ist dann Sache für die Profis.
Ja: Die Schüler/innen schwänzen die Schule. Aber: Die Politik schwänzt die Zukunft. In der derzeitigen Klimapolitik zeigen sich nicht nur Mängel in naturwissenschaftlichem und mathematischem Denken, es offenbart sich darin auch fehlende Ethik. Oder es zeigt sich das, was der PISA-Test seit langem als ein Problem des deutschen Schulsystems beschreibt: das Wissen ist nicht anwendungsfähig. Wir kennen die Fakten seit langem, wir können die Zahlen in die Zukunft extrapolieren, wir wissen, was nötig wäre. Wenn sie den Klima-Unterricht nicht gänzlich schwänzt, so ist die Politik dabei doch sehr unkonzentriert. Liebe Politik: Leider bist du durch deine Lobbyisten leicht ablenkbar. So gelingt es dir nicht, das Gelernte auch anzuwenden.
Der Vorwurf, die Schüler/innen agierten „aus dem Bauch heraus“ und sähen die komplexen Zusammenhänge nicht, verfehlt die Lage. Politisch wird gerade sehr viel mehr „aus dem Bauch heraus“ gehandelt (oder besser: nicht gehandelt). Es fehlt schlicht an Mut zu den notwendigen Einschnitten. Es herrscht Angst davor, Wählern und Wirtschaft Einschränkungen und Veränderungsprozesse zuzumuten, Angst vor harten Ansagen, vor Verboten, niemand möchte Spaßbremse und Spielverderber sein. Klare Vernunft ist jedenfalls klimapolitisch offenbar nicht angesagt.
Wir erleben gerade, dass die Jugendlichen der Gesellschaft etwas vorrechnen – dazu haben wir sie in den Schulen befähigt. Wir erleben, dass sie ethische Entscheidungen treffen – sie haben vermutlich aufgepasst im Unterricht zu Fragen der Verantwortung und zu zivilem Ungehorsam. Wir erleben, dass die Jugendlichen Medien nutzen, argumentieren, sich organisieren, dass sie Fakten auswerten und Schlüsse ziehen – Methodenkompetenz! Wir erleben, dass die Jugendlichen ihr Recht auf gesellschaftliche Partizipation einklagen. Dafür verlassen sie den ihnen zugewiesenen Ort, die Schule.
Dass Lernen nur stattfindet, wenn es in einem Lehrplan verzeichnet und von einem Lehrer angeleitet wird, ist eine sehr überhebliche Vorstellung. Als ob die versäumten Freitage nun die Schüler/innen auf dem Arbeitsmarkt unvermittelbar machten. Wer noch sehen kann, dass Bildung mehr ist als Schule, der erkennt auch: Fridays-for-future leistet gerade hervorragende Bildungsarbeit und geht gleichzeitig weit darüber hinaus. Die Schulstreiks hinterfragen den derzeitigen Umgang mit den gesellschaftlichen Rechten von Kindern und Jugendlichen. Eine Sozialkundestunde der anderen Art. Wer schwänzt?
Anne Veit
im Auftrag der Schulleitung der Elstertalschule Greiz